Rettung für Wasserschildkröten in Süditalien
Ganz im Süden Italiens, in der Region Kalabrien, den Hängen des Aspromonte-Bergmassivs und -Nationalparks zu Füßen, liegt der Küstenort Brancaleone. Hier gibt es eine bemerkenswerte Institution: Das Schildkrötenkrankenhaus „Centro Recupero Tartarughe Marine di Brancaleone“.
Sucht man im Internet nach dem Begriff „Schildkrötenkrankenhaus“, erfährt man, dass das Einzige weltweit in Florida existiere. Dabei wurde wohl Brancaleone übersehen! Und ja, fährt man durch den Ort mit seiner langen, geraden Hauptstraße, entlang von kleinen Geschäften und Cafès, parallel zur Strandpromenade Lungomare und der Küstenbahnlinie, muss man schon genau hinsehen, um das Schildkrötenkrankenhaus zu entdecken.
Wo würdet Ihr eine derartige Rettungseinrichtung für Meeresschildkröten vermuten? Genau, nahe Strand und Wasser. Statt dessen befindet sich das Schildkrötenkrankenhaus im Bahnhofsgebäude von Brancaleone. Einfach hinein spazieren kann man nicht. Um es zu besuchen, sollte man mit dem ehrenamtlichen Rettungsteam einen Termin vereinbaren. Das geht ganz einfach über eine WhatsApp-Nachricht auf die Nummer: +39 392 59 51 614 oder eine E-Mail an info@crmtbrancaleone.it.
Ein Besuch im Schildkrötenkrankenhaus
Ich habe Glück und ergattere relativ kurzfristig einen Termin für die rund 30-minütige Führung. Und ich habe nochmal Glück: Außer mir, schließen sich noch Lisa und Carlo aus Deutschland an. Carlo spricht, im Gegensatz zu mir, perfekt Italienisch und kann übersetzen. Eine Führung auf Englisch gibt es bis jetzt (Stand Feb. 2022) leider nicht.
Wir zahlen pro Nase zehn Euro, die als Spende komplett in das Schutzprojekt fließen, und werden dann von Wasserschildkrötenexpertin Tania in den Saal mit Quarantäne- und Rehabilitations-Wasserbecken geführt. Drei Patienten schwimmen in jeweils einem, vom Meerwasser gespeisten Becken. Ich kann meine Augen garnicht von diesen Wasserwesen lassen. Die Schildkröten sind wundervolle Tiere. Sie wirken so freundlich, fossil, und es ist fast meditativ ihnen beim Ziehen ihrer Bahnen zuzuschauen.
Von Tania und einem ihrer Kollegen erfahren wir, dass es Wasserschildkröten seit über 150 Millionen Jahren in allen Meeren der Welt gibt. Heute zählt man sieben Arten und alle sind in der Roten Liste der IUCN als gefährdet aufgeführt. Die Schildkröten, die vor uns in den Becken schwimmen gehören zu der, im Mittelmeer verbreitetsten Art Caretta caretta. Doch warum mussten diese Tiere in’s Schildkrötenkrankenhaus?
Angelhaken und Plastik – Lebensgefahr für Wasserschildkröten
Wie schon so viele ihrer Artgenossen vorher, wurden diese Schildkröten verletzt am Strand gefunden. In der Region Kalabrien und auch auf Sizilien ist das Schildkrötenkrankenhaus bekannt und so kontaktierten Tierfreunde das Helferteam über die Notrufnummer. Schnell wurden die verletzten Tiere abgeholt und nach Brancaleone gebracht. Neben den Quarantäne-Becken mit Filtersystem ist das Schildkrötenkrankenhaus mit einem Röntgenraum und einem Operations-Saal ausgestattet. Auf Wasserschildkröten spezialisierte Tierärzte operieren hier ehrenamtlich.
Hauptursache für die lebensgefährlichen Verletzungen der Schildkröten, die übrigens bei Brancaleone einen Eiablageplatz haben, sind scharfe Angelhaken. Außer der Fischerei ist die Plastikverschmutzung der Meere lebensbedrohlich für die Wasserschildkröten. Der Tourismus, der sich im Sommer auch auf Strandbereiche ausbreitet, an denen die Schildkröten eigentlich Ruhe und Rückzug brauchen, tut sein Übriges. Das CRTM Schildkrötenkrankenhaus liegt an einem von Meeresschildkröten sehr frequentierten Mittelmeergebiet. An dieser südlichen ionischen Küste Kalabriens, bekannt als „Costa dei Gelsomini“, liegt der wichtigste Nistplatz der Caretta caretta in Italien.
Schätzungen zufolge werden jedes Jahr rund 250.000 Schildkröten im Mittelmeer versehentlich beim Fischen gefangen und eine noch nicht definierte Anzahl stirbt an Plastik. Tania zeigt uns ein Plakat, auf dem viele kleine Plastikteile aufgeklebt sind. „Die haben wir alle aus dem Bauch einer fast toten Wasserschildkröte geholt“, sagt sie.
Auch ich habe während meiner letzten Italien-Reise im Winter 2020/2021 dreimal eine Wasserschildkröte am Strand gefunden. Das war in Apulien und alle drei Tiere waren bereits verendet.
So könnt ihr helfen – Unterstützung für das Schildkrötenkrankenhaus
Das Schildkrötenkrankenhaus von Brancaleone existiert seit 2006. Über 600 Tiere konnte das ehrenamtliche Team, das 24 Stunden am Tag erreichbar ist, bisher retten, pflegen und wieder auswildern. Die Freilassung der genesenen Schildkröten ist ein besonders emotionaler Moment, den man als Besucher miterleben kann, wenn man zur richtigen Zeit vor Ort ist. Auch viele Schulklassen durften bereits bei einer Auswilderung am Strand von Branceleone dabei sein. Die genesenen Tiere werden vor der Freilassung für Forschungszwecke mit einem Peilsender versehen, der zirka zwei Jahre an ihrem Panzer haften bleibt.
Im Gegensatz zu anderen tierischen Einrichtungen, wie zum Beispiel Zoos, bekommt das Schildkrötenkrankenhaus keine Unterstützung vom italienischen Staat, ist komplett auf Spenden angewiesen. Es ist dem Verein “Blue Conservancy Onlus“ angeschlossen. Ihr wollt helfen? Wie wäre es dann mit einer Adoption einer Meeresschildkröte oder einem Volontariat im Schildkrötenkrankenhaus? Vieles ist möglich – mehr Infos dazu auf der Website des Centro Recupero Tartarughe Marine di Brancaleone (CRTM).
Was ihr außer einem Besuch des Schildkrötenkrankenhauses in Brancaleone noch erleben könnt, erfahrt ihr hier: Ein ganz besonderes Früchtchen
Ihr sucht weitere Ziele in Italien, an denen Tieren in Not geholfen wird? Dann klickt hier: Die Tierschutz-Ranch auf Sizilien
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