Tierbeobachtung: Ungarns urige Steppentiere
Unendliche Weite, ein stahlblauer Himmel, im Wind wehendes, gelbliches Gras – die ungarische Puszta zog uns im September 2013 in ihren Bann. Um dieses größte zusammenhängende Steppengebiet Mitteleuropas mit seiner einzigartigen Tier- und Pflanzenwelt zu erkunden, steuerten wir im Camper (damals noch unser blauer T3 VW-Bus), den Hortobágy Nationalpark im Osten Ungarns an.
Das Gestüt der Noniuspferde
Am über 300 Jahre alten Máta Gestüt, das zu den ältesten Gestüten Ungarns zählt, parken wir unseren Bulli und treffen Marion Mueza. Die Deutsche lebt schon lange, der Liebe wegen, in Ungarn und führt interessierte Touristen über die Anlage mit Stallungen und Reitplätzen, sowie in die angrenzende Puszta hinein. Mit ihr und einer kleinen Gruppe anderer Reisender wollen wir eine Kutschfahrt unternehmen, die uns wie auf einer Safari nah an die Tierwelt dieser Region heran bringen soll. Auf eigene Faust mit dem Camper oder zu Fuß kämen wir nicht so nah an die Tiere heran. Aber zunächst erfahren wir von Marion einiges über das alterwürdige Gestüt: „Máta ist bekannt für die Reitkünste der Hortobágyer Pferdehirten und die Zucht der Noniuspferde. Hier in Hortobágy gibt es den weltweit größten Nonius-Bestand. Wir haben 60 Zuchtstuten, mit denen wir die Art erhalten“, erzählt sie uns. Zahlreiche Noniuspferde grasen auf den Weiden rund um das Gestüt, einige von ihnen werden auch gerade auf dem Sandplatz trainiert. Wer reiten kann, kann hier Ausritte auf den ungarischen Pferden buchen.
Seit seinen sehr speziellen Reit-Erfahrungen 2010 in Südamerika (dort wurde nicht so genau genommen, ob man reiten kann oder nicht, Abenteuerlust zählt und dann einfach rauf auf’s Pferd uns losgetrabt), wagt sich Maik allerdings nicht mehr in den Sattel und auch ich, mit meinen über 20 Jahre zurück liegenden Reitstunden bin wahrlich kein Experte. Deswegen klettern wir in die Kutsche. Zum Glück ist sie überdacht, denn die Sonne brennt hier ganz schön und Schatten gibt es nicht in der vorwiegend baumlosen Puszta.
Achtung Wasserbüffel!
Auf geht’s in die Steppe, auf zur Tierbeobachtung. Grasland soweit das Auge reicht und am Horizont eine Herde Rinder deren Hörner immer größer werden, je näher wir kommen. Der Kutscher hält direkt drauf zu, dumpfes Stampfen der Pferdehufe auf weichem Steppenboden, Quietschen der Kutschenräder, dann ein „Hoh“ des Kutschers, das Gefährt wird langsamer. Wir beugen uns gespannt heraus. „Keiner steigt aus!“, lautet die strenge Anweisung von Marion Mueza. „Die Wasserbüffel laufen schneller als ein Pferd, wenn sie angreifen“. Wasserbüffel sind im 6. Jahrhundert aus Asien in ungarische Gefilde gebracht worden, um dort als Arbeitstiere genutzt zu werden. In Italien gibt es sie übrigens auch. Dort wird wird ihre fetthaltige, schneeweiße Milch zur Mozarellakäse-Herstellung genutzt (Büffelmozarella). In Hortobágy betreiben sie durch ihr Grasen Landschaftspflege und sind beliebtes Fotomotiv der Touristen.
Riesen-Hörner
Wir haben unsere Fotos im Kasten und die Büffel aus nächster Nähe gesehen. Die Kutsche nimmt wieder Fahrt auf. Der Wind tut gut. Als nächstes treffen wir Tiere mit noch imposanteren Hörnern. Die ungarischen Graurinder leben das ganze Jahr draußen auf den Puszta-Weiden. Man muss sich das mal vorstellen: Vom 14. bis ins 19. Jahrhundert hinein wurden jährlich hunderttausende der widerstandsfähigen Graurinder zu Fuß aus der Puszta bis auf die Viehmärkte nach Wien, Nürnberg, Straßburg oder Venedig getrieben. Mit zunehmender Technisierung und veränderten Zuchtansprüchen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, waren die Graurinder als Nutztiere nicht mehr gefragt. Ihr Bestand geht seitdem zurück. Dank Arterhaltungsmaßnahmen leben heute in Ungarn noch rund 25.000 Graurinder. Jetzt dürfen wir aussteigen, denn die Rinder sind hinter einem Zaun. Erstaunlich wie sich das Aussehen der Stiere verändert, wenn die kastriert sind. Ihre Gesichter werden dunkler, sie wirken kleiner und gedrungener.
Cowboys der Puszta
Vorbei an einem alten Ziehbrunnen, wie wir ihn von historischen Ungarn-Bildern kennen, rollen wir anschließend weiter bis zu einer ungewöhnlich aussehenden Farm, deren Dach bis auf den Boden reicht. „In Ungarn nennen wir solche Häuser auf dem Hintern sitzende Stallung“, erzählt Marion. Und da! Hinter ihr guckt ein putziges Zackelschaf aus dem Stall, dann ein zweites und ein drittes. Markenzeichen dieser alten ungarischen Haustierrasse sind die gedrehten Hörner. Das Schafgestreichel nimmt ein plötzliches Ende als rasante Reiter mit knallenden Kreiselpeitschen und in ungarische Tracht gekleidet auftauchen. Die Vorführung der Pferdehirten, auch Csikós genannt, soll wohl die romantisierten Vorstellungen vieler Touristen von der Puzsta befriedigen. Die Csikós bringen ihre Pferde dazu, sich hinzulegen. Das sei eine alte Tradition aus der Zeit der Puszta-Räuber. Pferde mussten sich auf Befehl ihres Hirten ablegen, damit sie von weitem in der flachen Steppe nicht gesehen und womöglich überfallen wurden. Mit dem Peitschenknallen wurden die Pferde schusssicher gemacht, sodass sie liegen blieben, auch wenn Schüsse vielen. Ob diese Vorführung so tiergerecht ist?
Wie eine Zeitreise
Eingestaubt zurück am Máta Gestüt haben wir noch nicht genug vom Puszta-Feeling und steigen ein Stück entfernt am Hortobágy Besucherzentrum in den offenen Nationalparkbus. Die Fahrt durch ein 120 ha großes Weidegebiet und anschließender Wanderung durch den Wildpark ist wie eine Zeitreise. Zur Tierbeobachtung gehören hier Vierbeiner, die vor dem Erscheinen des Menschen in der Puszta heimisch waren: Eine Rückzüchtung des Auerochsen, Przewalski Pferde, Wölfe, Schakale, Wildkatzen, Gänsegeier und viele weitere Vogelarten.
Gegen unser anschließendes Magenknurren hilft die Einkehr in das älteste Gebäude der Puszta, das 1699 erbaute, rustikale Gasthaus Hortobágy-Tscharda. Auf der Speisekarte stehen regionale Spezialitäten wie Biosalami vom Graurind, oder Fleisch des ungarischen Mangalica Wollschweins. Alle Fleischprodukte stammen ausschließlich von Tieren aus der Puszta.
Wer gerne den Hortobágy-Nationalpark besuchen möchte, dem sei der Herbst dafür empfohlen. Jedes Jahr am ersten Oktober können Besucher in Hortobágy den Ungarischen Graurinder-Markt mit Zuchtschau erleben. Mitte Oktober steigt dann das Festival der Kraniche mit Beobachtungen des Vogelzugs, Ausstellungen, Tanzvorführungen und kulinarischen Köstlichkeiten.
Was gibt es noch zu erleben in Hortobágy?
Puszta Vogelpark mit Vogelkrankenhaus: Durch eine Glasscheibe können Behandlungen der Vögel mitverfolgt werden, eine Ausstellung informiert über die Rettung verletzter und erkrankter Vögel.
Puzsta Haustierpark: Hier lernen Besucher alte ungarische Haustierrassen wie Wollschweine, Zackelschafe, Esel, Ziegen und ungarische Hühner kennen. In Streichelgehegen kann man mit ihnen auf Tuchfühlung gehen.
Hirtenmuseum: Ausstellung zur Arbeitsweise der Schäfer-, Pferde-, und Rinderhirten der Puszta
Neunbogenbrücke: Die längste Steinbrücke Ungarns ist Teil der mittelalterlichen Salzstraße zwischen Siebenbürgen und Budapest.
Fischteiche mit Schmalspurbahn: Die ein Areal von rund 2000 Hektar umfassenden Fischteiche sind der größte Rastplatz für Zugvögel in Mitteleuropa. Mit einer Schmalspurbahn auf einer fünf-Kilometer-Strecke, aber auch zu Fuß oder mit dem Fahrrad kann das Gebiet erkundet werden.