Im Land der Bergamotte – Bekanntschaft mit einer seltenen Zitrusfrucht

Nach dem spannenden Besuch im Schilkrötenkrankenhaus von Brancaleone knurrt mir der Magen. Doch wohin am besten für einen Mittags-Snack? Meine Frage löst sich schnell, denn auf dem Parkplatz am Schildkrötenkrankenhaus treffe ich Francesco. Wie in Kalabrien so oft mit den Leuten, entsteht schnell ein ungezwungenes Gespräch und es stellt sich heraus: Francesco und seine Familie führen ein Restaurant mit Bäckerei.

Das „La Grotta“, liegt an der Hauptachse des Küstenortes Brancaleones, am Corso Umberto I, nur fünf Gehminuten vom Schildkrötenkrankenhaus entfernt. Familie Perronace hat eine Weile in Deutschland gelebt. Vielleicht dadurch beeinflusst, braut Restaurantchef Francesco sein eigenes Bier und Tochter Daniela backt hervorragendes Vollkornbrot im Steinbackofen. Gleich mehrere Brotsorten könnt ihr, wie in einer Bäckerei, im Eingangsbereich des „La Grotta“ kaufen und die Pizza ist einfach „delizioso“!

Bei einem Bierchen erfahre ich von Francesco so einiges über die Region rund um Brancaleone, unter anderem auch, dass nur hier ganz im abgelegenen Süden, am Küstenabschnitt zwischen Reggio die Calabria und Locri, die Bergamotte angebaut wird. Die Bergamotte ist ein seltenes Zitrusgewächs. Die Frucht sieht aus wie eine überdimensionale Zitrone.

Bergamotten wachsen nur hier!

Mein Interesse an der Bergamotte führt dazu, dass ich mich am nächsten Tag an einer Produktionsstätte von Zitrusfrucht-Essenzen inmitten der Bergamotten-Haine im Hinterland von Brancaleone wieder finde. In meiner Hand eine aufgeschnittene Bergamotte, neben mir Francesco, der quasi eine Privatführung für mich organisiert. Die Herzlichkeit, Offenheit und Gastfreundschaft der Menschen hier ist einfach nicht zu übertreffen und ich rate jedem Reisenden sich auf ein Kennenlernen, ein Gespräch mit den Leuten vor Ort einzulassen. Vielleicht dafür auch mal die eigenen Reise- und Zeitpläne spontan über Bord zu werfen. Es ist unglaublich, was sich daraus für Begegnungen und Erlebnisse ergeben können.

So lerne ich an diesem Tag im Februar, dass rund 90 Prozent der weltweit geernteten Bergamotten aus dieser Küstenregion der Provinz Reggio kommen. Ich bin also mittendrin im Bergamotten-Eldorado und jetzt, nachdem mir gezeigt wurde, wie so ein immergrüner Bergamotten-Baum aussieht, erkenne ich es auch. Überall hier, an den Hängen des Aspromonte-Bergmassivs wachsen diese Früchte in Plantagen. Es ist Ende Februar, die dicken Früchte sind abgeerntet. An den Bäumen sprießen nun neue, kleine Bergamotten nach. Die Erntezeit der Bergamotten beginnt im Oktober und reicht bis in den Januar hinein.

Der Duft des Sommers

In der Fabrik umhüllt mich ein herrlich sommerlicher Duft. Das ätherische Öl aus den Schalen der Bergamotten wird hauptsächlich zur Parfümherstellung genutzt und es gibt Earl-Grey-Tee sein spezielles Aroma. Immer mehr wird aber auch das Fruchtfleisch geschätzt. Man presst es in Säfte und zu Pulver, weil es sehr gesund sein soll – gut gegen Diabetes, Cholesterin senkend, Wechseljahresbeschwerden mildernd und stimmungsaufhellend. Auch Marmelade kann aus Bergamotten gemacht werden. Zum einfach so essen eignen sich die Früchte weniger, weil sie herb und sauer sind.

Wer tiefer in das Thema Bergamotte eintauchen möchte, kann in Reggio di Calabria das Bergamotten-Museum besuchen.

Zerfallene Bergdörfer

Verpassen sollte man, wenn man diese südlichste Ecke des ohnehin schon südlichen Kalabrien besucht, keinesfalls einen Abstecher in die verlassenen und oftmals aufgrund von Erdbeben verfallenen Bergdörfer, wie zum Beispiel Bruzzano Zeffirio, rund sechs Kilometer von Brancaleone entfernt. Bruzzano Zeffirio ist uralt, wurde vermutlich von griechischen Siedlern gegründet und beeindruckt durch eine Burgruine hoch oben auf einem Sandsteinfelsen, einem gut erhaltenen Triumphbogen und einer Heiligen-Statue, um die sich, wie in Italien so oft, wundersame Legenden ranken.

Mit zwei großen Tüten gefüllt mit Bergamotten und Mandarinen und zahlreichen neuen Eindrücken im Gepäck verlasse ich Brancaleone. Ein Ort, den ich tatsächlich binnen nur zweier Tage kennenlernen und liebgewinnen konnte – Dank der Offenheit der Einwohner, die mir Blicke „hinter die Kulissen“ ermöglichten.