Der Bergamasker Hirtenhund – Eine alte Hunderasse wird erhalten
Unser Van nimmt eine letzte Serpentine in der hügeligen Landschaft der Langhe in der norditalienischen Region Piemont, dann sehen wir unser heutiges Ziel: Das, bis auf die Photovoltaikplatten, urig-alt wirkende, doch komplett neu erbaute Natursteinhaus der Ammanns liegt an einem terrassierten Hang umgeben von Oliven- ,Wein- und Haselnusshängen, Wiesen und kleinen Wäldern, nahe des Dorfs Prunetto. Jutta und Robert Ammann erwarten uns schon und winken uns die schmale Einfahrt hinunter, sodass wir mit dem Van an einem traumhaft schönen Plätzchen in ihrem Garten parken können. Wir sind angekommen und gespannt: Das hier soll er sein, einer der Aktivposten der internationalen Bergamasker-Erhaltungsgzucht, an der mit großer Ambition und Fachkenntnis versucht wird, eine alte Hunderasse vor dem Aussterben zu bewahren.
Diese alte Hunderasse ist ein Hingucker!
Bevor wir Jutta und Rob Ammann begrüßen können, lenken ihre vier Hunde erstmal die Aufmerksamkeit auf sich. Bamba (12) , Dido (10), Tähti (5) und Bimba (1) sind aber auch echte Hingucker! Wo ist vorne, wo hinten? Ist das jetzt ein Schwanzwedeln? Auch unser Vizsla János muss sich scheinbar erst orientieren 😉 Die noch junge Bimba ist da eine gute Hilfe, denn bei ihr ist das dicke, lange Rasta-Fell noch nicht entwickelt.
Hunde mit Rastalocken? – Ja, richtig gelesen! – Jutta und Rob halten und züchten eine sehr alte, ungewöhnlich aussehende, italienische Hirtenhundrasse, genannt Bergamasker (ital. Cane da Pastore Bergamasco). Diese Hunde stammen, wie der Name schon verrät, aus der norditalienischen Provinz Bergamo, wo sie den Hirten in den Bergamasker Alpen (zwischen dem Comer See im Westen und dem Iseosee im Osten) beim Hüten der wandernden Viehherden halfen. Ihr Markenzeichen, das sonderbare Rasta-Fell, eine Art Mischung aus Wolle und hartem Ziegenhaar, schützte sie dabei vor extremen Wettereinflüssen der Bergwelt, vor Zecken und Ungeziefer und womöglich auch mal vor einem Wolfsbiss . „Die Wanderherden waren über Tage und Wochen unterwegs, zogen durch die Täler Val Brembana, Valle Imagna und Valle Seriana, hinauf zu den Almen des Engadin – dabei waren die Hunde oft die einzigen Begleiter der Hirten. Naheliegend, dass die Hirten robuste Hunde bevorzugten, die sich aber intensiv an ihnen orientierten, sehr auf sie bezogen waren und nicht jagden oder streunten“, beschreibt Jutta Ammann auf der Internetseite ihrer Zuchtstätte Luna di Lana .
Bergamasker machen Witze
Weitere typische Charaktereigenschaften der Bergamasker Hirtenhunde seien ihr unabhängiges Wesen und ihre Intelligenz. Sie zeigen keinen „Kadavergehorsam“, führen also gerne Befehle aus, aber nur dann, wenn deren Sinn auch für den Hund ersichtlich ist. Zudem seien Bergamasker sehr harmoniebedürftige und fröhliche Hunde die sogar, so die Ammanns, „Witze machen und sich richtig was einfallen lassen um zum Spielen zu animieren“. Unser János jedoch ist zunächst eingeschüchtert vom bellenden Damen-Rudel. Er hält Abstand und schnüffelt lieber im weitläufigen Garten herum, wo es auch einen (inzwischen unbewohnten) Dachsbau geben soll. Das ist natürlich hochgradig spannend für unseren Jagdhund. Ob die lustigen Bergamasker-Damen ihn wohl noch aus der Reserve locken werden? Warten wir’s ab.
Vom Aussterben bedroht
Als wir beim Abendessen und einer guten Flasche Wein auf der Terrasse sitzen, berichten uns Jutta und Rob über einen besonders spannenden Aspekt ihrer Hundezucht, die man deswegen auch „Erhaltungszucht“ nennen kann. „Ich schätze den weltweiten, aktuellen Bergamasker-Bestand auf nicht viel mehr als 1500 Hunde“, sagt Jutta. Es handele sich um eine vom Aussterben bedrohte, rund 2000 Jahre alte Hunderasse. Deswegen setzten sich die Ammanns auch dafür ein, dass der Bergamasco, auf die Rote Liste der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haus- und Nutzttierrassen e.V. (GEH) aufgenommen wurde. Somit gilt er als besonders schützenswert und Menschen, die sich gewissenhaft, nach bestimmten Kriterien für dessen Erhalt einsetzen, bekommen Unterstützung und Anerkennung. Detaillierte Info dazu: Arche-Projekt der GEH
Warum es wichtig ist alte Haus- und Nutztierrassen zu erhalten
Heute werden Rassen bevorzugt, die möglichst schnell, möglichst viel Milch, Fleisch, Eier oder andere Leistung (im Fall von Hunden z.B. ein gerade angesagtes Aussehen) liefern. Man spricht auch von „Hochleistungs-Rassen“. Ihre Zuchtlinien werden immer einheitlicher, ihre Widerstandskraft immer fragiler. Die Vorzüge der urigen Rassen wie zum Beispiel „Robustheit bei Wetter und Krankheit“ aus den Augen verloren. Die erstaunliche Vielfalt der alten Rassen zu erhalten ist nicht nur etwas für Liebhaber, sondern macht durchaus Sinn. Beim Auftreten von Tierseuchen, Wetterextremen, Krankheit innerhalb einer Rasse etc. könnte eine Rasse ausgelöscht werden, eine andere hingegen, mit anderen Genen resistent sein und trotzdem weiterhin bestehen. Durch den Erhalt genetischer Vielfalt sichern wir Menschen uns Ressourcen und ein altes Kulturgut. Eine unglaubliche Bandbreite uralter Rassen könnt ihr übrigens toll im Tierpark Arche Warder in Schleswig-Holstein erleben. Mehr dazu in meinem Blogbericht Übernachten im Tierpark der seltenen Haustierrassen
Ahnenforschung als bedeutsamer Aspekt in der Hundezucht
Seit 2004 züchten die Ammanns Bergamasker, zunächst in ihrer Heimat Münster in Westfalen, seit 2018 an ihrem neuen Lebensmittelpunkt im Piemont. Da die alte Hunderasse so selten ist, melden sich Bergamasker-Fans aus der ganzen Welt bei ihnen an, um einen Welpen zu bekommen. Jutta Ammann, die inzwischen auch dem Vorstand des italienischen Muttervereins der Rasse angehört, vermittelt dann auch gerne Welpen anderer Züchter, am liebsten dorthin, wo es die Hoffnung gibt, dass die Welpen später auch für die Zucht verwendet werden können. So leben heute Hunde nicht nur aus der Zucht „Luna di Lana“ sowohl in Italien und Deutschland, aber auch in den Niederlanden, Österreich, Polen, Schweden, Kanada und den USA. Dennoch hat Jutta Ammann ihr Anliegen nie aus den Augen verloren: Es geht ihr nicht darum, mit Welpen Geld zu verdienen, sondern eine robuste, gesunde und von ihr und ihrer Familie so lieb gewonnene Rasse zu erhalten. Um Inzucht bei dem verhältnismäßig kleinen, weltweiten Bergamasker-Bestand zu vermeiden, rief sie zusammen mit Luigi Guidobono Calvalchini, Präsident des italienischen Bergamasker Clubs, eine Datenbank der Stammbäume ins Leben. Seit 2004 wurden darin die Stammbäume von bis heute 10614 registrierten Bergamaskern eingepflegt. „Leider zu wenige Züchter achten mit der notwendigen Sorgfalt auf die genetische Historie der jeweiligen Verpaarung“, weiß Jutta. Ihrer Datenbank ist zu entnehmen, dass der Inzuchtkoeffizient über zehn Bergamasker-Generationen durchschnittlich bei 18 Prozent liegt. „Das ist zu hoch! Erstrebenswert wäre ein Koeffizient um die zehn Prozent“, meint sie.
Inzucht, also die Verpaarung von nah verwandten Tieren, wird in der Hundezucht immer wieder praktiziert, um relativ schnell ein gewünschtes Erscheinungsbild zu erzeugen, bei den Bergamaskern aber auch aus Mangel an geeigneten, vorhandenen Hunden. Je näher verwandt die Tiere miteinander sind, desto einheitlicher ist ihr Aussehen, desto größer aber auch die Gefahr von Krankheiten, unerwünschten Wesensauffälligkeiten und kürzerer Lebenserwartung.
Wandern mit Hund im Piemont
Am nächsten Vormittag brechen wir zu einer Wanderung in der wunderschönen Gegend rund um Prunetto auf. Die Hunde sind aufgeregt und wuseln über die Wiese, derweil wir eine herrliche Aussicht zunächst auf Prunettos Castello Scarampi und dann auf die Bergkette der Seealpen zwischen Italien und Frankreich genießen. Von hier aus sieht man nicht nur den berühmten, 4810 Meter hohen Montblanc, sondern den, wie wir finden noch viel imposanteren, 3841 Meter hohen Monviso-Gipfel, der dem Filmvorspann-Logo von Paramount Pictures ähnelt. Bei einer Wanderung mit Rob Ammann darf ein Picknick nicht fehlen. „Er ist ein richtiger Picknick-Spezialist“, verrät Jutta lachend, derweil Rob leckere, nach Campari schmeckende, aber alkoholfreie Limonade aus dem Rucksack packt.
„Für wen eignen sich denn eigentlich Bergamasker als tierische Begleiter? “, frage ich, mit der flüssigen Erfrischung in der Hand.
Für wen eignet sich diese alte Hunderasse?
Die Antwort der Ammanns: Es seien keine ganz einfachen, also nicht unbedingt für Hundeanfänger geeigneten Hunde. Sie haben durchaus ihren eigenen (Dick)Kopf. Man müsse sich klar sein, dass dieser Hund überall dabei sein wolle und unter Disharmonie innerhalb der Familie schnell leiden würde. Die Fellpflege sei noch ein Kapitel für sich: „Soll der Bergamasker auch wie einer aussehen und das typische Rasta-Fell bekommen, braucht sein Besitzer im zweiten Jahr seines Hundes vor allem viel Geduld. Das Haar verfilzt ab dann zunächst im Ganzen, was nicht besonders toll aussieht und zum voreiligen Aufgeben sowie zum Griff nach dem Entfilzungskamm oder sogar der Schermaschine verleiten könnte“, schreibt Jutta in ihrem Kapitel „Fellpflege“ auf lunadilana.de. Ab einem Alter von ca. eineinhalb Jahren, bilden sich die typischen Dreadlocks. In dieser Zeit muss der Halter einspringen, sonst entstünden zu dicke Filzplatten, die nicht schön aussähen und verhindern, dass Luft an die Hundehaut kommen kann. Sitzt die Rasta-Frisur erst einmal, bietet sie dem Hund Schutz gegen Kälte und Hitze. Diese alte Hunderasse haart, einmal mit Dreadlocks behangen, so gut wie garnicht und die Pflege beschränkt sich ab dann im Wesentlichen darauf, dafür Sorge zu tragen, dass bei jedem „Fellwechsel“ die Dreadlocks überall bis zur Haut geteilt werden. Das sei deutlich weniger Arbeit, als zu versuchen, das Fell mit Bürste und Kamm am Verfilzen zu hindern.
Work & Travel bei den Ammanns im Piemont – Helfer und Hundefreunde sind willkommen!
So beeindruckend diese Hunde und Juttas und Robs Motivation zur Erhaltung dieser alten Hunderasse auch sind, sind Maik und ich doch froh, dass wir beim Einsteigen in den Van nur János’s kurzes Drahthaar-Fell säubern müssen. „Komm János, es geht weiter!“, „Wo steckt er denn schon wieder? Etwa wieder am Dachsbau?“, „Nein, er tobt mit Bimba durch die Natur“ – Hat der kleine Bergamasker es also doch geschafft unseren Eigenbrödler aus der Reserve zu locken. Vielleicht mit einem unglaublich guten Witz?! 😉
Wer sich für Bergamasker interessiert oder gern mal die Region Piemont im Zuge eines „Work & Travel“-Aufenthalts kennen lernen möchte, kann mit Jutta und Robert Amman Kontakt aufnehmen. Sie suchen immer Unterstützung für das „Mit-Anpacken“ auf ihrem großen Gartengelände, sowie in der Hundebetreuung oder bei Erledigungen im Haus, wie z.B. beim Pasta herstellen. Dafür bieten sie einen wunderbaren Stellplatz für Camper oder auch ein tolles Appartement mit separatem Bad und Küche.
Kontakt via E-Mail: ja.lunadilana@gmail.com
Kontakt via Facebook: LUNA DI LANA Bergamascos
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