Auf einem Agriturismo vor den Toren von Forenza
So beeindruckend die landschaftliche und kulturelle Vielfalt der Basilikata auch ist, forderte mich diese Region im Süden Italiens, auch Lukanien genannt, auf meiner Recherche-Tour für zwei Camper-Magazine ganz schön heraus. Zum Einen sind da die extrem steilen, kurvigen und oft holprigen Straßen, die meinen Van an die Leistungsgrenze trieben, zum Anderen spielte das Wetter verrückt. Hatte ich doch den April als ideal für meine Erkundung angedacht – noch nicht zu heiß für Wanderungen und Besichtigen, insbesondere in Begleitung meines Hundes János, aber auch nicht zu kalt in den Bergen und auf den Hochplateus, kam es etwas anders.
„Wo bin ich hier gelandet?“, fragte ich mich am Ende eines anstrengenden Reisetags. Bei Nebel und strömendem Regen erreichte ich gegen Abend die Provinz Potenza. Mal wieder hatte ich für nur rund 100 km doppelt so viel Zeit gebraucht, als gedacht. Die auf der Karte als Hauptstraße angegebene Route, war eher ein Feldweg. Nun war ich endlich meinem Ziel, dem Ort Forenza nah, und auf der Suche nach einem Standplatz für die Nacht.
Da tauchte im Nebel das Schild Agriturismo auf. Eigentlich nicht für Camper gedacht – sonst wäre es wohl als Agricampeggio betitelt – fuhr ich erschöpft auf das Hofgelände des Agriturismo Masseria Brienza, ein Bauernhof-B&B inmitten der Felder und Hügel vor den Toren Forenzas. Hofbetreiber Salvatore Brienza empfing mich etwas überrascht und wirklich freundlich und improvisierte im Dauerregen bei Minusgraden die nicht vorhandene, aber für mich nötige Campinglogistik (Anschluss an Strom, Frischwasser).
Ein Glückstreffer!
Das stellte sich umso mehr am nächsten Morgen heraus, als die Sonne wieder lachte, die Sicht auf eine herrliche Umgebung frei gab und ich spontan mit einem Frühstück von den lieben Gastgebern beglückt wurde.
Und dann durfte ich die tierischen Bewohner der Masseria (italienische Bezeichnung für Bauernhöfe mit Tierhaltung) kennen lernen und war voll in meinem Element. János hatte, zu Recht, mächtig Respekt vor den drei imposanten Maremmano-Hütehunden, sowie den zwei Bodercollies, die zusammen das Hofrudel bilden.
Familie Brienza betreibt Landwirtschaft und seit ein paar Jahren zusätzlich ein Bed-and-Breakfast im urigen Turmhäuschen erbaut im Jahr 1200. Dieses soll den Truppen von Stauferkaiser Friedrich II., der im berühmten Oktagon, Castel del Monte, im angrenzenden Apulien residierte, als Beobachtungsposten gedient haben. Heute gibt es zwei Zimmer mit Bad für je vier Personen. Preis 35 Euro pro Kopf (Stand April 2025).
Ihre Kühe und Schafe nutzen die Brienzas für Fleisch- und Milchproduktion. Ihre Spezialitäten verkaufen sie ausschließlich direkt ab Hof und kredenzen sie im Hofrestaurant. Achtung: Anmeldung erforderlich!
Auf Campinggäste ist Familie Brienza eigentlich nicht eingerichtet. Es fehlt an den Vorrichtungen. Dennoch bieten sie einen herrlichen Platz, den man, auf Anfrage mit seinem Campingmobil oder Zelt nutzen darf. Eine Übernachtung auf dem Hof ist für landlustige Tierfreunde wirklich ein schönes Erlebnis. Außerdem ist die Masseria idealer Startpunkt für eine Tour, durch das nur 2,5 km entfernte Forenza.
Forenza – der kleine Ort hat viel zu bieten
Forenza liegt ca. 25 km nordöstlich der Provinzhauptstadt Potenza und ist mit knapp 1800 Einwohnern ein kleiner Ort. Bisher in wenigen Reiseführern und -Blogs erwähnt, scheint mir das Örtchen ein noch echter Geheimtipp. Dabei gibt es hier, auch gemessen an der Größe des Dorfs, außergewöhnlich viel zu entdecken. Das auf einem 836 Meter hohen Hügel liegende Forenza wird als „Balkon Apuliens“ bezeichnet, da man von dort einen herrlichen und wirklich weiten Panoramablick hat – an klaren Tagen sieht man bis zum apulischen Gargano, dem Stiefelsporn Italiens. Die Kommune ist um Tourismus bemüht und hat im Frühjahr 2025 am Rand des historischen Kerns einen Wohnmobilstellplatz eingerichtet (mit Wasser, Strom, Ver- und Entsorgungsmöglichkeit, Via Campanile 29, GPS 40°51’34.0″N 15°51’26.5″E). Als ich Anfang April da war, war der Platz noch im Aufbau und noch nicht auf den gängigen Online-Karten und -Portalen verzeichnet).
Wieder habe ich Familie Brienza zu verdanken, dass ich auch im Ort so freundlich willkommen geheißen wurde. Alessandra Brienza (Nichte des Hofbetreibers Salvatore) ist u.a. Touristenguide und zeigte mir, zusammen mit dem Bürgermeister Francesco Mastrandrea, alle interessanten Ecken Forenzas.
Streetart mit Recycling-Mosaiken
Tatsächlich hatte ich das Glück, ihn persönlich zu treffen, den Künstler Mario Brienza (nicht verwandt mit der Familie Brienza vom Agriturismo), der versucht mit seiner Wandkunst das Dorf zu bereichern. Es sind eben diese Mosaike aus recycelten Dingen, wie Keramikscherben, Flaschendeckel oder Wäscheklammern, die Forenza seit kurzem Aufmerksamkeit in den Sozialen Medien verschaffen. Auch ich bin über die ansprechende Kunst auf den bunten Fotos auf den Ort aufmerksam geworden. Inzwischen wirkt das ganze Dorf mit weiteren Kunstaktionen begeistert mit.
Bauernhausmuseum „Casa contadina“
So sahen die typischen Wohnräume der Bauern in der Basilikata noch bis in die Mitte des 20. Jh. aus. Ein Raum unter gewölbter Decke, der gleichzeitig Schlaf-, Gesellschaftsraum und Küche war. Es gibt ein Bett und eine Feuerstelle. Die Hühner schliefen unter dem Bett, das Pferd im Nebenraum, nur durch ein niedriges Holztor getrennt. Dazu noch ein Kantinenkeller. „Und das ist noch ein Haus eines recht wohlhabenden Bauern gewesen“, erklärt mir der Bürgermeister, während ich über die Beengtheit, aber auch über all‘ die wunderschönen, nostalgischen Einrichtungsgegenstände und Arbeitsutensilien staune. Das Hausmuseum beherbergt eine der einzigartigsten ethnografischen Sammlungen der Region.
Im Zeichen der Tempelritter – Museum und Stadtfest
Und damit noch längst nicht genug. Forenza schreibt auch Legende. Diese besagt, dass dort 1128 der Ritterorden der Templer gegründet wurde. Stimmt diese These tatsächlich, liegt der Ursprung der Tempelritter also in Italiens Basilikata und nicht wie zumeist angenommen, in Frankreich. Es wird erzählt, dass acht normannische Ritter unter der Führung von Ugo de‘ Pagani aus Forenza, nach Jerusalem aufbrachen, um die Pilger und die heiligen Stätten des Christentums vor den Ungläubigen zu verteidigen. Nach dieser Erfahrung entstand im Jahr 1128 einer der mächtigsten Orden des Mittelalters: die Templer.
Diese Legende und die Geschichte der Tempelritter wird in einem Museum im Ort aufgearbeitet. Zudem findet jedes Jahr am 16. August in Forenza die Nachinszenierung „Die Legende der Templer, Ugo de‘ Pagani und der Mythos 1118 n. Chr.“ statt. Bei diesem Spektakel zieht eine Prozession mit über 150 Darstellern in historischen Kostümen durch die Gassen des Orts und spielt die legendären Ereignisse aus der Gründungszeit der Templer nach.
Das Kruzifix der drei Gesichtszüge
Fast ein bisschen gruselig geht es im Klosterkomplex „SS Crocifisso und S. Maria della Stella“ zu. In der reich verzierten Barockkirche befindet sich das wertvolle Eichenkruzifix aus dem 17. Jh., das dem Franziskaner-Mönch Angelo da Pietrafitta zugeschrieben wird. Dieses Kruzifix ist ein Besonderes: Betrachtet man es von der rechten Seite bietet es den Ausdruck eines toten Jesus, frontal zeigt es einen Ausdruck der Qual, während von links betrachtet, Jesus lächelnd dargestellt ist. So präsentiert es die Zustände des Gottessohns während der Kreuzigung.
Wunderschön anzusehen ist das Gemälde der „Madonna della Stella“, deren Stern auf dem Stirntuch einem bei passendem Lichteinfall wie ein Diamant entgegen glitzert.
Am Ende meines Tags in Forenza kann ich wohl behaupten, dass sich ein Ausflug dorthin definitiv lohnt und dass dieser Ort sicherlich so einigen anderen von Leerstand und Verfall bedrohten Dörfern im Süden Italiens als Modell dienen könnte, dafür wie man mit Kreativität Geschichte beleben und für Besucher attraktiv gestalten kann.
Weitere Sehenswürdigkeiten rund um Forenza
Der Norden der Basilikata bietet auf kleinem Raum eine große Zahl an lohnenswerten Zielen:
- Provinzhauptstadt Potenza, die höchstgelegene Hauptstadt aller italienischen Regionen
- das riesige Stauferkastell in Melfi
- die überdimensionale Kathedrale in Forenzas Nachbarort Acerenza, wo einst die Tochter Draculas gelebt haben soll
- die an Hobbithäuser erinnernden Grotten-Kantinen unter grünem Moos in Pietragalla
- der Archäologiepark von Venosa – antikes Venusium, mit imposanten Klostermauern und römischen Bodenmosaiken
Mehr aus Italien
Kennt ihr schon mein Italientagebuch? Darin berichte aus dem Landleben rund um das kleine Landhaus „Casaletto“ in Bomarzo, über das Landwirtschaften mit Wein, Oliven und Gemüse, natürlich über unsere Tiere, über Menschen, Traditionen und Events der schönen Region „Tuscia“ und meinem Einfinden in dieses fantastisch südländische Leben.
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