Wo Fantasie mit realer Geschichte verschmilzt – Drachen, Einhörner und die Pyramide der Etrusker
Hunde sind nicht erlaubt, Presseausweis wird nicht anerkannt – das waren Gründe die mich zweifeln ließen, ob ich den berühmten Sacro Bosco in Bomarzo überhaupt besuchen sollte. Aber Bomarzo, dieser Ort in der Region Latium, rund 80 km nördlich von Rom, stand schon während der letzten Italienreise auf dem Plan und lag jetzt so gut auf meiner Strecke. Also doch hin und…..der Aufenthalt übertraf meine Erwartungen!
Die meisten Touristen kommen nach Bomarzo wegen des Sacro Bosco (Heiliger Wald), auch bekannt als Parco dei Mostri (Park der Ungeheuer). Dieser skurrile Garten voller fantastischer Figuren ist absolut einen Besuch wert, allerdings gibt es in Bomarzo noch viel mehr zu sehen. Das Gesamtpaket macht diese Gegend zu etwas ganz Besonderem, ich wage zu behaupten zu einem der spannend-mystischsten Orte Italiens.
Im Park der Ungeheuer
Unterhalb der, auf einem Felsen thronenden Altstadt von Bomarzo, in einem grünen Tal, liegt der Sacro Bosco. Angelegt, beziehungsweise in Auftrag gegeben wurde er 1552 von dem italienischen Adligen Vicino Orsini. Dreißig Jahre lang wuchs der Park zu einer Anlage wie einem Märchenbuch entsprungen.
Orsinis Anliegen soll es gewesen sein, eine groteske Welt zu inszenieren, die den Besucher verwirren und dessen Phantasie anregen soll und die unter anderem auch, gegen die starre katholische Denke, die damals herrschte, rebelliert. Diese Art von Anlage ist einmalig in Italien.
Doch nachdem Orsini 1585 gestorben war, geriet der Sacro Bosco in Vergessenheit. Die fantasievollen Skulpturen und damit auch viele Informationen über Orsinis außergewöhnliche Gedankenwelt verschwanden unter Moos und Schlingpflanzen, der Garten verwilderte. Nur die Einheimischen munkelten noch über die versteckten Skulpturen aus Vulkangestein und wenige Intellektuelle interessierten sich, unter ihnen Goethe auf seiner Italienreise. Es sollte über 300 Jahre dauern, bis der Garten aus dem Dornröschenschlaf geweckt wurde. Salvador Dalí war 1938 der erste prominente Besucher des Parks.
Durch ein steinernes Tor betrete ich gespannt den Sacro Bosco, nachdem ich den Eingangsbereich mit großer Picknick-Area und Museumsshop hinter mir gelassen hatte. Als „früher Vogel“ unter den Parkbesuchern höre ich es zwitschern und hinter Hecken und steinernen Ecken, unter Bäumen und am Rand einer weitläufigen Wiese begegnen mir beeindruckende Kreaturen, Fabelwesen genauso wie Gestalten aus der griechischen und römischen Mythologie: Neptun, Pegasus, der zweiköpfige Höllenhund Cerberus, Drachen und Elefanten.
Irre ist das schiefe Haus „Casa Pendente“. Als ich es betrete, wird mir leicht schwindelig. Tatsächlich soll dieser Bau, so erfahre ich später, den Gleichgewichtssinn der Besucher täuschen. Was ist nun gerade und was schief? Und was bedeuten all‘ die Inschriften auf den Skulpturen? „Ogni pensiero vola“ – „Jeder Gedanke fliegt“, steht über dem weit geöffneten Mund von Orkus, dem römischen Gott der Unterwelt und über der „Etruskischen Bank“: „Voi che pel mondo gite errando vaghi, di veder maraviglie alte et stupende, venite qua dove son faccie horrende, elefanti, leoni, orsi, orchi et draghi“ – „Ihr, die ihr durch die Welt irrt, begierig, große und staunenswerte Wunder zu sehen, kommt hierher, wo es schaurige Gesichter gibt, Elefanten, Löwen, Bären, Orken und Drachen“.
Nicht nur ich verlasse den Sacro Bosco begeistert aber mit offenen Fragen im Kopf. Nicht ungewöhnlich, denn sogar Forschende versuchen noch heute die Rätsel, die dieser Park birgt, zu lösen.
Seid ihr, wie ich, mit Hund unterwegs, besucht den Park am besten Morgens, so früh wie möglich. Hunde müssen nämlich draußen und somit wahrscheinlich doch im Auto warten. Ein frühmorgendlicher Besuch bietet zudem den Vorteil, dass noch nicht so viele Leute unterwegs sind. Ruhe und dazu das Morgenlicht unterstreichen die mystische Stimmung ungemein. Ich habe das so empfunden, obwohl ich an einem Sonntag dort war. Sonntags fliegen die Italiener aus und so bildete sich, als ich den Park nach rund zwei Stunden Besuch gegen 11:30 wieder verließ, eine lange Schlange vor dem Eingang.
Im Januar 2022 lag der Eintritt für eine erwachsene Person bei 13 Euro. Parken ist gratis und es gibt genug Plätze, auch für Wohnmobile, direkt vor dem Eingang. Um 19 Uhr schließen die Parkplatzpforten.
Im Ort Bomarzo
Nachdem er so brav im Van gewartet hat, ist es nun Zeit für meinen Hund János, ein bisschen zu laufen und mir ist nach einem Mittagssnack. Also wandern wir hinauf in die Altstadt von Bomarzo (Das geht gut direkt vom Parkplatz des Sacro Bosco aus. Es gibt aber auch, ein paar Meter weiter oben, einen großen Parkplatz direkt zu Füßen Bomarzos).
Steil ragen die, auf dem hier so typischen Tuffstein „Peperino“ stehenden Häuser auf. Überthront werden sie noch vom imposanten Palazzo Orsini, der im 16. Jhd. auf den Ruinen einer mittelalterlichen Burg erbaut wurde. Die Altstadt ist nicht sehr groß, sodass man sie in einer knappen Stunde gut erfassen kann. Hat man die engen Gassen, die sich ab dem Dorfplatzbrunnen gen Höhe schlängeln, erkundet, zieht es einen automatisch auf den „Balkon“ Bomarzos wo eine herrliche Aussicht wartet.
Eine schöne Aussicht auf das Tibertal und zudem gutes, regional-typisches Essen genießt man, mittags wie abends, in Bomarzo im „L’Etrusca Bistro“. Das Restaurant liegt direkt in der Altstadt. Ich genieße das Panorama von der Terrasse des Restaurants, dazu gereicht wird ein frischer Weißwein und Trüffel-Gnocchi mit hauchdünnem Knusperspeck und Spargel. Schwelgen und genießen lässt es sich in Italien bekanntlich hervorragend. Im „L’Etrusca Bistrot“ bekommt man nicht nur regional-typische Speisen, sondern auch Auskunft und Kontakt zu „Locals“, die Führungen zu weiteren und noch unbekannten Sehenswürdigkeiten rund um Bomarzo anbieten.
Im Wald der Pyramide
Einer dieser Locals ist Salvatore Fosci. Über ihn stolpere ich durch Zufall, als ich am Nachmittag auf eigene Faust ab dem Wanderparkplatz am „Campo Sportivo“ mit János zum Wasserlauf wandere, der so spannend auf meiner online-Karte angezeigt war und der mit seinen Überresten mittelalterlicher Öl- und Getreidemühlen einen weiteren beeindruckenden Ort abgibt. Salvatore fragt mich, ob ich denn schon die Etrusker-Pyramide gesehen hätte. Hatte ich nicht, geschweige denn zuvor etwas von ihr gehört! – Was hätte ich verpasst!
Und so finde ich mich am Folgetag auf einem zirka zwölf Meter hohen, und wohl 2500 Jahre alten Relikt im bewaldeten Tacchiolo-Tal wieder und höre dem charismatischen Salvatore zu, wie er seine Geschichte erzählt, die mit besagter etruskischer Pyramide verbunden ist und die so gut in dieses geheimnisvolle Bomarzo passt. Auch János schlackert mit seinen langen Schlappohren und reckt seine Nase von der Pyramidenspitze aus hoch in den Wind.
Nach zwanzig Jahren in Südtirol, wandte Salvatore seinem stressigen Job den Rücken und kehrte zurück in seine Heimat Bomarzo. Um sich zu akklimatisieren, die stressigen Jahre abzuschütteln, wanderte er und wanderte er, wie schon sein Vater und sein Uropa, der Förster von Bomarzo. Salvatore begab sich auf Pfade seiner Kindheit, dort im Wald, wo in seiner Erinnerung Ruinen und Höhlen waren. Er entdeckte alte Wege, die er auch anderen Wanderern wieder zugänglich machte, indem er sie frei schnitt. Als Begleiter immer dabei hat er seinen Wanderstock, dessen Ende ein Gazellen-artiger Tierkopf schmückt. „Ein flinkes Tier, das durch Sprünge und geschicktes Überwinden von Hindernissen den Weg klar vorgibt“, so Salvatore, der nicht nur dieses, sondern auch viele andere Tiere „seines“ Waldes künstlerisch in Stein und Holz verewigt.
Eines Tages fand er ihn dann wieder, diesen riesigen Peperino-Felsen, der Spuren alter Kulturen aufwies, aber völlig versteckt im Dickicht unter Pflanzen und Moos lag. Salvatore war nicht der erste, der dieses Monument am damals noch recht unzugänglichen steilen Waldhang entdeckte. Schon 1991 fanden ihn Archäologen. Sie schenkten dem riesigen Megalith mit seinen Stufen und Plattformen aber keine so große Aufmerksamkeit. An’s Licht brachte ihn erst Salvatore Fosci. Aus Respekt vor diesem Ort und aus Liebe zur Natur ging er vorsichtig und leise, ohne rabiate Dinge wie Motorsägen, sondern nur mit manuellem Werkzeug, an die Arbeit. Stück für Stück legte er über viele Jahre hinweg Stufen, Altare, und Opferrinnen frei. „Über eine gewisse Zeit wurde ich dabei regelmäßig von einem Fuchs beobachtet. Der war schlau und hatte schnell raus, dass er immer ein bisschen von meinem Frühstück abbekommt“, erzählt Salvatore. Aber auch andere Tiere wie die Aspisviper, Stachelschweine, Dachse, Hasen und Greifvögel, z. B. den Wanderfalken observierte er schon in diesem Wald.
Dank seines Einsatzes stehen heute wieder Leute, so wie ich, ehrfürchtig staunend vor oder manchmal eben auch auf diesem größten Felsaltar Europas – eine Pyramide die ein wenig an die Tempel der Maya in Lateinamerika erinnert. Allerdings etwas anders in der Dimension. Wegschilder führen nicht zu ihr. Man muss sich schon durchfragen oder eine geführte Tour mit Salvatore oder seinen Kollegen buchen. Vermutet wird, dass diese Pyramide den Etruskern im 6. Jahrhundert v. Chr. als Kultstätte diente. Womöglich seien Tiere dort geopfert worden, deren Blut durch die Rinnen abfließen konnte. Die Generation von Salvatores Großeltern habe vom „Sasso del Predicatore“ (Predigerstein) gemunkelt.
Klar beantworten kann Salvatore, was die Pyramide für ihn selbst für eine Bedeutung hat: „Diese, in den Momenten des Freilegens des Denkmals seit 2008 erlebten Emotionen sind mir ins Blut übergegangen. Dieser Stein, den ich von Hand gereinigt habe, hat mir viele seiner alten Geheimnisse preisgegeben. Von diesem Tag an ist die Pyramide für mich zu einer kontinuierlichen Verbindung mit der Vergangenheit geworden“. Und tatsächlich, als hätte dieser Einsatz an der Geschichte flüsterndenden Tuffsteinpyramide weitere Steine in’s Rollen gebracht, findet er seitdem immer weitere geschichtsträchtige Spuren in dieser Region.
Eine Miniatur der etruskischen Pyramide hat Salvatore, der nicht nur Natur-Guide, sondern auch Öko-Landwirt und Bildhauer ist, in seinem Garten stehen. Er formte sie aus einem Tuffstein, der vom vulkanischen Original abgebrochen war. Sein Haus, umgeben von Weinreben und Olivenbäumen befindet sich unweit des Waldes, der wie er sagt, noch viele Geheimnisse in sich trägt und in dem er täglich unterwegs ist um diese zu entdecken und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Salvatore ist also der „Wächter der Etrusker-Pyramide von Bomarzo“.
Mehr Infos zu geführten Touren zur Etrusker-Pyramide oder weiteren versteckten Relikten in der wunderschönen, zerklüfteten Naturlandschaft rund um Bomarzo bekommt ihr auf piramide-etrusca.it .
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