Nutria beobachten an der Bever
Das Dorf Glandorf im Süden des Landkreises Osnabrück ist noch im Tiefschlaf, nur im Wasserlauf des angrenzenden Flüsschens Bever steppt um sechs Uhr morgens schon der Bär, oder besser gesagt die Nutria. Die dort zahlreich angesiedelten Nagetiere spalten die Gemüter von hiesigen Land- und Forstwirten und den Naturschützern.
Außer einem Reh und dem Glandorfer Jäger Stefan Farwick, Leiter des dortigen Hegerings Heide, ist noch niemand auf der Landstraße unterwegs. Mit Fernglas statt Flinte ausgerüstet zieht er an diesem Freitagmorgen im Oktober los um das Erwachen der Natur zu beobachten, mit all’ den Tieren, die nur dann zu sichten sind.
Neozoen
Nutria zählen genau wie Bisam, Waschbär oder Marderhund zu den Neozoen, den eingebürgerten Arten in Deutschland. Die ursprünglich aus Südamerika stammende Art wurde wegen ihres Fells und Fleischs in Deutschland eingeführt und in Zuchtfarmen gehalten. Der heutige Wildbestand an Nutria hat sich entwickelt aus aus Farmen entkommenden oder ausgesetzten Tieren. Nutria leben in Familienverbänden. Sie haben zwei Würfe pro Jahr mit sechs bis acht Jungtieren. Zu ihren Markenzeichen gehören die langen, orangen Schneidezähne.
Da ich gerne einmal Nutria in Natura sehen und mehr über ihr Verhalten erfahren möchte, frage ich bei der Jägerschaft Osnabrück-Land an und habe das Glück Glandorfs Hegerinleiter Stefan Farwick begleiten zu dürfen. Leise schleichen wir an besagtem Freitagmorgen im Oktober an der Bever entlang bis zu einem Beobachtungsposten. Er liegt genau gegenüber einer Erdhöhle in der Uferböschung. Versteckt hinter einigen Büschen klappen wir zwei Stühle auf und setzen uns. Ein Schwarm Nilgänse fliegt über unsere Köpfe hinweg. Im Gegensatz zur Landstraße ist auf dem Fluss schon richtig was los. Noch sind die schwimmenden Nutria nur schemenhaft zu erkennen, doch als die ersten Sonnenstrahlen den Morgennebel lichten, sieht man sie genauer.
Die jüngeren Tiere unter ihnen gleichem dem Bisam, die ausgewachsenen sind aber deutlich größer. Auch mit dem Biber könnte man sie verwechseln, aber sie haben einen runden, behaarten Schwanz anstatt einer platten, lederartigen Biberkelle. Neben der Höhle klettert ein Nutria die Böschung hinauf. Beim Blick durch’s Fernglas erkenne ich die Schwimmhäute zwischen den Zehen der Nager. Nur einer der fünf Zehen liegt frei und wird zum Klettern eingesetzt. „Eine besondere Anpassung ans Wasser ist die Milchleiste, die beim Nutria-Weibchen seitlich, hoch an den Flanken liegt. So können die Jungen im schützenden Wasser säugen“, erklärt mir Stefan Farwick, flüsternd. Wir dürfen nur ganz leise sprechen und uns möglichst nicht bewegen, denn sonst sind die Tiere schnell verjagt.
Freunde und Feinde
Wenn man die possierlichen Nager dabei beobachtet, wie sie im Wasser ihre Runde ziehen, die teils weißen, mit langen Tasthaaren versehenen Nasenspitzen aus der Bever haltend, ist das unglaublich faszinierend. Man kann sich einfach nicht vorstellen, dass es viele Menschen gibt, die die Nutria nicht leiden können, ja sich über sie sogar richtig ärgern. Jäger und Landwirte beobachten seit einigen Jahren eine starke Zunahme der Nutria-Bestände an Niedersachsens Wasserläufen. „Schätzungsweise 50 bis 60 Nutria leben hier auf eineinhalb Kilometern Fluss-Länge“, flüstert Stefan Farwick vom, hinter Brennnesseln getarnten, Beobachtungsposten. Landwirten, Förstern und Unterhaltungsverbänden ist die Art ein Dorn im Auge, weil sie, in so großer Menge vorkommend, ökonomischen Schaden verursacht. Hauptsächlich Wasserpflanzen fressend, vergreifen sich Nutrias auch schonmal an angepflanzten Kulturen oder weichem Holz, wenn das Nahrungsangebot knapp ist. Zudem können durch ihre Bauten Uferböschungen abrutschen. Schwere Erntemaschinen, die auf wassernahen landwirtschaftlichen Flächen fahren, können auf den unterhöhlten Äckern einbrechen.
Nutria-Freunde hingegen argumentieren, dass der eigentliche „Übeltäter“ der Unterhöhlungen der Bisam sei. Nutrias aber verdrängen den Bisam, besetzen seine Höhlen. Da sich der Nutria von Wasserpflanzen ernährt, sei er auch als Gewässerpfleger anzusehen. Durch natürliche Uferrandstreifen und größere Abstände der landwirtschaftlichen Flächen zum Wasser könne Schaden reduziert werden.
Jagdrecht
Stefan Farwick zeigt auf einen Nutria auf der anderen Seite der Bever: „Das Tier befindet sich jetzt in Füchtorf, auf nordrhein-westfälischem Boden. Dort ist die Situation für die Nutria eine andere als in Niedersachsen“. Die Nutria unterliegt in Niedersachsen dem Jagdrecht. Sie darf ausschließlich in der Zeit vom 1. September bis 28. Februar bejagd werden. Jungtiere dürfen das ganze Jahr über erlegt werden, weil die Bestände sehr hoch sind. Da Nutria in NRW nicht unter das Jagdgesetz fallen, können sie das ganz Jahr über wie Schädlinge bekämpft werden. Eine tierquälerische Art der Tötung, wie zum Beispiel das Ertränken von gefangenen Nutria ist aber auch in NRW tierschutzgesetztwidrig.
Der Glandorfer Hegeringleiter hat schon mehrere Nutria erlegt. Und was passiert mit einem erschossenen Nutria? „Man kann sie essen. Ihr Fleisch schmeckt ähnlich wie Kaninchenfleisch“, berichtet der Jäger. Man müsse sich eben nur von der Assoziation mit Ratten entfernen. Und genau genommen, sind Nutria, auch wenn manch’ einer sie Biberratten nennt, keine Ratten, sondern eine ganz eigenständige Art.
Ihr habt auch Lust auf Nutria-Safari zu gehen? Dann fragt doch einfach mal bei eurer Landesjägerschaft an. Im Rahmen der Initiative Gemeinsam Jagd erleben vom Deutschen Jagverband sind viele Jäger gerne dazu bereit Nichtjäger mit ins Revier zu nehmen und ihnen die dort lebenden Tierarten zu zeigen.
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