Ein Besuch bei der Tierschutzorganisation BETA in Beirut
Der Taxifahrer gibt sein Bestes, tritt auf das Gaspedal, aber die Räder drehen durch im sandigen Boden und schon schwankt die Karosse in das nächste Schlagloch. „Lassen Sie es gut sein, ich laufe zu Fuß weiter“, richte ich mich an den Fahrer der Ehrgeiz entwickelt hat und mich wohl unbedingt bis vor die Tore der Hundeauffangstation der Tierschutzorganisation bringen möchte. Ich befinde mich in Libanons Hauptstadt Beirut, genauer im Vorort Monti Verdi. Hier, zirka 30 Kilometer außerhalb von Beiruts Stadtzentrum lösen Pinien bestandene Berge den Hochhausdschungel ab.
Kein Schild deutet auf mein angestrebtes Ziel hin. Den Weg hatte ich mir zuvor telefonisch von Raina Dabaghi vom Team der libanesischen Tierschutzorganisation BETA (Beirut for the Ethical Treatment of Animals) beschreiben lassen. Ich farge mich, ob ich hier überhaupt an der richtigen Adresse bin, steige aber aus, gebe dem Taxifahrer ein „Okay“, er düst weiter und ich kraxele den steilen Sandweg hinauf…unsicher, doch da klingelt das Handy: „Wenn Du gleich am Shelter bist, kommen Dir einige Hunde entgegen gelaufen. Sie tun aber nichts, freuen sich nur riesig“. Raina Dabaghi bestätigt mir vom Zahnarztstuhl aus, dass ich richtig bin, dass die ersten Hunde gleich in Sichtweite seien müssten. In schnellem Englisch spricht sie in den Hörer: „Entschuldige noch mal, dass ich dich nicht selbst in der Station empfangen kann. Aber es ist ein Notfall-Zahntermin. Mein Kollege Kumar Salman wird dir alles zeigen. Oh, ich muss Schluss machen, die Behandlung beginnt“.
Tierschutz im Libanon
Tatsächlich, drei staubige Kurven weiter sehe ich sie dann, die auf einer Anhöhe liegende Hundeauffangstation. Ich bin gespannt darauf zu erfahren, wie die libanesische Tierschutzorganisation arbeitet. Was wird das Team berichten, über den Umgang mit Tieren in einem Land, in dem die Menschen und natürlich auch die Tiere vor nicht all’ zu langer Zeit noch unter dem fünfzehn Jahre herrschenden Bürgerkrieg litten? Bis heute haben die Libanesen selbst viele Sorgen: Der Krieg im Nachbarland Syrien, die zwei Millionen Flüchtlinge im kleinen Libanon, der Konflikt mit Israel und Beiruts Vororte in der Hand der Hisbollah. Welchen Stellenwert hat da der Einsatz für das Wohl der Tiere? – Für Raina Dabaghi, Kumar Salman und die weiteren Mitglieder des BETA-Teams einen sehr großen. „Ein Tier zu retten, verbessert nicht die ganze Welt, aber es verändert die Welt dieses Tieres“, erklären sie. „Wir nutzen Hunde als Polizeihunde, Minensuchhunde, als Behindertenbegleithunde, als unsere Wächter, ja sogar in der Menschenrettung. Wenn einige von ihnen, dann uns brauchen, sind wir ihnen das einfach schuldig“.
Willkommensgruß der Tierschutzorganisation
Mit Gebell und Schwanzwedeln kommen acht Hunde auf mich zugelaufen. Stürmisch werde ich von ihnen vor der Hundeauffangstation begrüßt. Einige Nachzügler nähern sich vorsichtiger, beobachten lieber aus sicherem Abstand. Kumar Salman schüttelt mir mit seiner sympathischen, offenen Art die Hand und macht mich direkt in perfektem Englisch mit den ersten Hunden bekannt. 450 Hunde leben derzeit im BETA-Shelter, das damit seine Kapazitätsgrenze mehr als erreicht hat. Zu jedem dieser Tiere kann Kumar etwas berichten, weiß den Namen, kennt dessen Charakter und oft auch die traurige Vorgeschichte.
Die Hunde-Typen und ihre Geschichten
In einer aus Holzpaletten und alten Sofas zusammen gestellten Hütte suchen Bernie und Tanner ein Schattenplätzchen zum ausruhen. Warum Burnie Burnie heißt erfahre ich dann (engl. „to burn“ = brennen). „Siehst Du die schwarzen, nackten Hautstellen in seinem hellen Fell? Er wurde mit Benzin übergossen und angezündet“, berichtet Kumar, während der inzwischen wieder gesunde Burnie es genießt hinter den Ohren gekrault zur werden. Trotz der schlimmen Erlebnisse die er mit Menschen machen musste, sucht er noch immer deren Nähe, ist verschmust und durch und durch freundlich. So auch Schäferhund-Mischling Tanner, der von den Tierschützern angefahren am Straßenrand gefunden wurde. Aufgrund der Verletzung musste ihm ein Bein amputiert werden. Mit seiner Behinderung kommt er aber gut zurecht, tobt und läuft mit seinem Rudel mit.
„Die meisten Hunde, die wir aufnehmen müssen, kommen aus dem ärmeren Viertel Bir Hassan am südlichen Stadtrand von Beirut“, erzählt Kumar. Die Tierschutzorganisation erhält eine wahre Flut von Anrufen mit Hinweisen auf ausgesetzte, verletzte oder misshandelte Tiere auch aus anderen Regionen in und rund um Beirut. Oft passiert es, dass Hunde auf den schmalen Verkehrsinseln zwischen mehrspurigen, viel befahrenen Straßen ausgesetzt werden. „Inzwischen ist unser Shelter voll, wir können uns wirklich nur noch um die absoluten Notfälle kümmern“.
Adoption aus dem Ausland
Ich bin erstaunt wie fröhlich und gepflegt die Hunde im Shelter wirken. Ihnen scheint es dort besser zu gehen, als in ihrem „vorherigen Leben“ und dennoch buhlen einige von ihnen geradezu um Aufmerksamkeit, wenn Besucher kommen. Es wirkt so, als versuchten einige Hunde sich von ihrer besten Seite zu zeigen um die Chance auf ein liebevolles neues Zuhause zu bekommen.
„Wer ist denn dieser nette Kollege hier?“, frage ich als mir ein hübscher schwarz-weißer Pointer immer wieder einen Ball vor die Füße legt. Er gibt alles, damit ich mit ihm Spiele. Schnell schließe ich Diego, so heißt er, ins Herz. Da kommt der Gedanke auf: „Wie aufwendig ist es eigentlich, einen Hund aus dem Libanon mit nach Deutschland zu nehmen?“. Die Übernahmegebühr für einen Hund aus dem Auffang unserer Tierschutzorganisation beträgt 100 US Dollars“, erklärt mir Rania Dabaghi später. Hinzu kommen so einige weitere Kosten für den Tollwut-Bluttest, Mikrochip, Transportbox und die Fluggebühren.
Rudelführer Kumar
Nur durchschnittlich zwei bis drei Hunde pro Monat könne BETA in ein neues Zuhause vermitteln. Besonders schwer hätten es die Tiere mit Behinderungen. Die Hundeauffangstation in Monti Verdi ist täglich von 10 bis 15 Uhr für Besucher geöffnet, doch nur wenige kommen von Beirut aus hier hinaus gefahren. Ein Team von sieben fest angestellten BETA-Mitarbeitern und mehreren Freiwilligen kümmert sich um die Tiere. Kumar Salman unterstützt die Tierschutzorganisation seit mehr als zehn Jahren. Er lebt in Beiruts Innenstadt und fährt täglich hinaus zu „seinen“ Hunden. Es ist beeindruckend zu sehen, wie gut er mit ihnen umgehen kann, wie sie ihn akzeptieren. Kumar kann die Hunde einschätzen, beobachtet „Neulinge“ im Shelter genau, bevor er sie zu Artgenossen in einen der verschiedenen, abgezäunten Bereiche lässt. Die Hunde leben in kleinen Rudeln in der Auffangstation. Immer mit einzelnen Gruppen geht Kumar in der wenig besiedelten Gegend rund um die Station spazieren. „Es rührt mich stets auf’s neue, wie dankbar die Tiere sind, wie sehr sie sich jedes Mal freuen, wenn ich morgens mit meinem Motorrad auf’s Gelände gefahren komme“, berichtet Kumar. Die meisten Helfer, die bei BETA die Tiere pflegen kämen aus dem Ausland. Aus religiösem und kulturellem Hintergrund folge, dass gerade libanesische Männern sich nicht gerne um Tiere kümmern. So besucht BETA auch Kindergärten, Schulen und Universitäten um Aufklärungsarbeit zu leisten, um ein Bewusstsein für Tiere und deren Schutz zu wecken. „Leider ist es im Libanon noch oft so, dass sich die Leute einen niedlichen Welpen kaufen, sich gar nicht groß Gedanken machen, und dann mit dem ausgewachsenen Hund überfordert sind“, weiß Kumar aus Erfahrung.
Medizinische Versorgung das größte Problem
BETA ist eine registrierte, nichtstaatliche Tierschutzorganisation (NGO), die ihre Einsätze nur Dank freiwilliger Helfer und Spenden leisten kann. Nicht nur die Hundestation, sondern auch eine Wohnung für schutzbedürftige Katzen, sowie ein Auffang für Kaninchen, Meerschweinchen und Vögel gehören zu BETA. „Wir wurden auch schon informiert, wenn Privatleute Affen, Schlangen oder sogar Alligatoren halten“, berichtet Kumar. Bei der Rettung solcher Wildtiere arbeitet BETA mit Naturschutzbehörden und Zoos zusammen.
3500 Dollars Spenden erhält die libanesische Tierschutzorganisation durchschnittlich pro Monat. 25.000 Dollars monatlich würden aber eigentlich gebraucht um alle aufgenommenen Tiere optimal versorgen zu können. „Viele Leute glauben gar nicht, dass es so viel kostet, ein Tierheim zu betreiben“, weiß Raina Dabaghi. Jedes einzelne Tier koste rund 45 Dollars im Monat. Allein für die Hunde in der Auffangstation muss das BETA-Team täglich fünfzehn 20-Kilogramm-Säcke Futter anschaffen. Manche Hunde benötigen aufgrund von Krankheit, Alter oder Unverträglichkeit auch noch teureres Spezialfutter. Neben den Futterkosten seien da die Tierarztkosten. Die Tiere müssten geimpft, entwurmt und kastriert werden. Einige benötigen Medikamente oder sogar eine Operation. „Die Aufwendungen für die notwendige medizinische Versorgung von durchschnittlich 5000 US Dollars pro Monat sind unser größtes Problem“, betont die Tierschützerin. BETA wird unterstützt von Tierarzt Dr. Elias Nicolas vom Animal House Hospital in Beirut. Die Tierklinik behandelt die von BETA aufgenommenen Tiere zu günstigeren Preisen und lässt der Organisation Spielraum um die Rechnungen bezahlen zu können. Weitere zu stemmende Kostenposten sind die Miete für die Katzenwohnung und Personalkosten für die sieben Angestellten bei BETA.
Ehrenamtliche Helfer gesucht
So ist das BETA-Team seinen ehrenamtliche Helfern ganz besonders dankbar, Leuten wie Joumana Haswany, die in der Nachbarschaft der Hundeauffangstation in Monti Verdi lebt und regelmäßig zum Hunde ausführen vorbei schaut. Ich lerne Joumana bei meinem Besuch kennen. „Sie müssen einfach nett sein. Alle Menschen die hierher kommen, sind tolle Menschen, denn sie haben ein Herz für Hunde“. Mit diesen Worten werde ich enthusiastisch von Joumana begrüßt. Sie entschuldigt sich dafür, dass sie bei diesem herrlichen Wetter ihr Regencape trägt. Das streife sie immer über, wenn sie ihre Hunde besucht, teilt sie lachend mit und schon wird sie angesprungen und staubige Pfotenabdrücke zeichnen sich auf der pinken Plastik-Kleidung ab.
Was für eine rührend-herzliche Stimmung da im Shelter herrscht, geht mir durch den Kopf, als ich den Berg wieder hinab wandere. Pointer Diego und einige seiner Kollegen begleiten mich noch ein Stück des Weges. Kumar und Joumana winken aus der Ferne. Den Taxifahrer hatte ich gebeten, mich in zwei Stunden wieder abzuholen. „Hmm, da habe ich wohl im Shelter die Zeit vergessen“, stelle ich erst jetzt fest. Doch der Fahrer hat tatsächlich gewartet. Mit einer Stunde Verspätung geht es zurück nach Beirut, fest entschlossen Tierfreunde auf die bemerkenswerte Arbeit von BETA aufmerksam zu machen.